2. InterNICHE-Kongress 2005

2. InterNICHE-Kongress 2005

Vom 12. – 15. Mai fand in Oslo der 2. InterNICHE-Kongress (International Network for Humane Education) statt. Sieben StudentInnen aus Deutschland reisten dazu nach Oslo: Julia, Jasmin und Ute aus Mainz, Alex aus Jena, Thomas aus Berlin sowie Kathrin und Valeska aus München – mit finanzieller Unterstützung durch Menschen für Tierrechte Rheinland-Pfalz e.V., AStA der Uni Mainz, Tierversuchsgegner Berlin und Brandenburg e.V. und SATIS.

Die vier Kongresstage waren ausgefüllt mit Vorträgen international angesehener Wissenschaftler aus den Bereichen Medizin, Biologie, Veterinärmedizin, Psychologie und Jura. In den Vorträgen ging es nicht nur um einen Erfahrungsaustausch, sondern vor allem um einen Einblick in die vielfältigen Alternativen und auch um die ethisch-philosophischen, verhaltensbiologischen, psychologischen und juristischen Hintergründe des Tierverbrauchs in der Lehre. Das Kongresspublikum bestand aus Studenten, Wissenschaftlern, sowie Lehrern, Professoren und Dozenten, Regierungsvertretern, Ärzten, Tierärzten, Biologen und Juristen aus 32 Ländern.

Neben den Vorträgen bestand die Möglichkeit, eine Ausstellung zu Alternativen zum Tierverbrauch in der Ausbildung zu besuchen und so beispielsweise auch Computersimulations-Programme und Operations-Trainer vor Ort auszuprobieren. Zusätzlich wurden mehrere Workshops angeboten, in denen auf einzelne Themenschwerpunkte genauer eingegangen wurde.

Bemerkenswert war die vegane Kongressverpflegung, die sogar unter den Fleischessern der Kongressgäste Anklang fand. Bei einem abschließenden Abendessen bestand zudem die Möglichkeit, mit den Vortragenden, unter denen sich auch der Biologe und Wissenschaftler Jonathan Balcombe, der Philosoph Tom Regan und der Verhaltensbiologe Marc Bekoff befanden, ins Gespräch zu kommen.

Gibt es einen geheimen Lehrplan?

Besonders beeindruckend war der Vortrag der Bostoner Psychologin Theodora Capaldo „The Hidden Curriculum in the Harmful Use of Animals in Science Education“. Als Psychologin hat Capaldo die Frage nach dem Warum des Tierverbrauchs in der naturwissenschaftlichen Ausbildung von verschiedenen Seiten beleuchtet und ist zu der Ansicht gekommen, dass das Grundrecht auf Freiheit in Wissenschaft und Lehre, das von Tierverbrauchsbefürwortern immer wieder gerne gebracht wird, nicht das einzige Argument dafür sein kann, dass im Jahr 2005 immer noch Tiere für die Ausbildung eines Mediziners, Biologen und Veterinärmediziners sterben müssen, dass also noch weitere, unausgesprochene Gründe hinter dieser Argumentation stecken müssen.

Eine Benachteiligung von Frauen?

Capaldo vertritt die Auffassung, dass es eine Gruppe von StudentInnen gibt, die durch Tierverbrauch, und damit durch einen in ihrer Abneigung begründeten schlechteren Lernerfolg, nicht nur von Teilen des Studiums ausgeschlossen wird, sondern der automatisch auch eine wissenschaftliche Karriere, in der man in vielen Bereichen zwangsläufig mit Tierversuchen in Berührung kommt, verwehrt wird. Betroffen sind insbesondere Frauen, die mit 76% den Hauptanteil der Verweigerer von Tierverbrauch im Studium darstellen.

Die Abneigung gegenüber tierverbrauchenden Übungen im Studium liegt übrigens meist nicht darin begründet, dass Frauen das Präparieren toter Tiere an sich abstoßend finden – die meisten hätten mit natürlich gestorbenen Tieren kein Problem. Meist ist es also allein der ethische Aspekt, der Frauen zu dieser Haltung veranlasst.

„Nur 22% der Wissenschaftler sind Frauen“, so Capaldo und betont dabei, dass dies in Kontrast zur Situation in der Schule stehe, wo mehr Mädchen als Jungen am Fach Biologie interessiert seien.

Außer Frage steht, dass der geringe Frauenanteil in der Wissenschaft in erster Linie ein Problem mangelhafter Familienpolitik ist. Aber muss man sich nicht trotzdem fragen, ob hier eine bestimmte Gruppe von jungen Frauen von ihrem Karrierewunsch abgebracht wird? Was ist ein Lehrer wert, der es nicht schafft, allen den Stoff zu vermitteln, der im Lehrplan steht, all seine Schüler gleichermaßen zu begeistern und gleichermaßen in den Unterricht einzubeziehen ohne dabei eine Gruppe auszuschließen?

Wie Naturwissenschaftler gemacht werden

Es gibt eine zweite Gruppe, die Capaldo besonders hervorhebt: Dies sind diejenigen StudentInnen, die mit Tierverbrauch scheinbar wenig oder keine ethischen Probleme haben und daher auch mit höherer Wahrscheinlichkeit eine wissenschaftliche Karriere einschlagen. Sie vertritt den Standpunkt, dass diese Gruppe meist schon desensibilisiert ist und  im Laufe der Ausbildung bzw. der wissenschaftlichen Karriere noch mehr abstumpft: „Um einem Tier Schaden zufügen zu können, muss man in der Lage sein, den Schaden, den man zufügt, nicht zu fühlen“.

Diese Gruppe stellt die zukünftige Generation von Wissenschaftlern dar und soll so das Fortbestehen dieses Systems garantieren. Gefragt in der Wissenschaft sind vor allem kühle analytische Denker, die moralische Zweifel auch mal ausblenden können, keine empathischen, einfühlsamen Tierliebhaber.

Auch in der Medizin wird gelehrt, dass zu viel Emotion und Anteilnahme gegenüber dem Patienten eher schaden kann, der Patient wird in erster Linie nicht als Mensch in seinem Gesamterscheinungsbild, sondern als analytisches Objekt betrachtet. Nach wirklich mitfühlenden Vorbildern, die sich aufopferungsvoll um ihre Patienten kümmern, muss ein junger Medizinstudent länger suchen. Diese Selbstlosigkeit ist im heutigen Gesundheitssystem mit dem enormen Zeitdruck zwar schwer machbar. Aber möglich ist sie dennoch. Und auch die StudentInnen selber haben häufig schon die Verhaltensweisen ihrer Lehrer übernommen, ohne sich dessen bewusst zu sein.

Mehr Einfluss als Coca-Cola

Nicht zu unterschätzen ist der Einfluss einer milliardenschweren Industrie, die nicht nur ein enormes Interesse daran hat, diesen Industriezweig auch weiterhin aufrechtzuerhalten, sondern die in diesem Punkt von der Forschung abhängig ist. Zu diesem Zweig zählen nicht nur Pharmafirmen, sondern auch Biotech-Unternehmen und die Futtermittelindustrie. „Allein von einem einzigen Unternehmen in Maine wurden im Jahre 1999 1,7 Mio. transgene Mäuse an 12.000 Labore in aller Welt verkauft“, stellt Capaldo fest.

Die Pharmaindustrie stellt, was ihre Finanzkraft angeht, alle anderen Industrien in den Schatten, selbst Finanzunternehmen, die Telekommunikationsbranche, die Computerindustrie und sogar die Getränkeindustrie mit Coca-Cola.

Eine langjährige Tradition

Aber auch die Dozenten selbst haben oft Motive, die Tradition aufrecht zu erhalten, die nicht auf den ersten Blick sichtbar sind. Viele Lehrer klammern sich an der Tradition fest, „so haben wir es immer gemacht, also ist es die beste Methode“, wobei Unsicherheit eine entscheidende Rolle spielen könnte. Vor allem ältere männliche Lehrer neigen zu dieser Einstellung, wohingegen Frauen eher für Innovation und Veränderung offen sind. Es gibt kaum eine andere Lehrmethode, die die letzten 50 Jahre unbeschadet überstanden hat.

Insbesondere der Umgang mit den modernen Errungenschaften der Technik scheint vielen älteren Dozenten nicht leicht zu fallen, obwohl gerade aus dieser Quelle viele Alternativen für die Lehre stammen.

„Dies nenne ich das Beharren auf Prinzipien“, bemerkt Capaldo und fordert gleichzeitig eine Unterbrechung des Kreislaufs der Abstumpfung, also des Weitergebens und Lehrens von Desensibilisierung an heranwachsende Generationen. Dies könne nur geschehen, indem mehr einfühlsame StudentInnen Zugang zu Naturwissenschaften und Forschung  erhalten und diese nach ihren ethischen Überzeugungen gestalten und verändern. Angst vor einem Wandel darf hierbei keine Rolle spielen. Um diesen verwirklichen zu können, sollte man Mitgefühl nicht länger aus der Lehre verbannen und sich immer wieder das große Ziel der Naturwissenschaften „Primum nil nocere” („Zuerst einmal nicht schaden“) vor Augen halten.

Ute Teichgräber

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EINLADUNG

InterNICHE-Kongress 2005

„Etablierung von tierverbrauchsfreien Lehrmethoden:
Innovationen in der naturwissenschaftlichen Ausbildung und Lehre“

12.-15. Mai 2005

in Oslo, Norwegen

Vom 12.-15. Mai 2005 wird in Oslo eine hochinteressante Veranstaltung zum aktuellen Stand von Innovationen in Ausbildung und Lehre stattfinden. Es ist die einzige große internationale Konferenz zu neuentwickelten Lehrmitteln und Alternativen zu Tierversuchen in der Ausbildung. Führende internationale Referenten, Multimedia- und Virtual Reality-Räume, Poster, Diskussionsforen und Workshops werden das Programm füllen.

Angesprochen sind Lehrende und Studierende der Human- und Veterinärmedizin, der Biowissenschaften, sowie Praktikumsleiter und Hilfspersonal. Weiterhin ist die Konferenz sehr geeignet für Mitglieder von Tierschutzbeiräten, Politiker und Juristen sowie Philosophen, Tierrechtsaktivisten und alle Interessenten an fortschrittlicher und humaner Ausbildung.

Organisatoren: Siri Martinsen und Nick Jukes (InterNICHE)

Konferenzsprache: Englisch

Referenten und Vorträge (alphabetische Reihenfolge):

* Emad Aboud, Prof. für Neurochirurgie, University of Arkansas for Medical Sciences: “Live-Chirurgie-Übungen an perfundierten Menschenleichen”

* M. A. Akbarsha, Prof. für Zoologie, University of Bharathidasan: “Modernisierung der biologischen Ausbildung und Ersatz von Präparationen“

* Jonathan Balcombe, Verhaltensforscher: “Bewertung von tierverbrauchsfreien Lehrmethoden, und die Untersuchung von Stress und Vorlieben von Tieren“

* Marc Bekoff, Prof. für Biologie, University of Colorado: “Ethische Ausbildung und Mensch-Tier-Beziehung”

* Hans Braun, Prof. für Physiologie, Universität Marburg: “Computersimulation und die Verknüpfung von tierverbrauchsfreien Methoden der Ausbildung und der Forschung“

* Stephen Brewster, Prof. für Computerwissenschaften, University of Glasgow: „Virtual Reality (VR)-Methoden für die  Aneignung klinischer Fertigkeiten von Veterinärmedizinern”

* John Callaghan, Entwicklungsleiter der WSPA: “Tierschutzunterricht”

* Theo Capaldo, Präsident der NEAVS: “Der verborgene Lehrplan der naturwissenschaftlichen Ausbildung”

* David Dewhurst, Direktor für Learning Technology, University of Edinburgh: “Re-useable learning objects (RLOs) und tierverbrauchsfreie Methoden“

* Nick Jukes, InterNICHE Koordinator: “Etablierung tierverbrauchsfreier Methoden für eine ethische und effektive naturwissenschaftliche Ausbildung“

* M. S. A. Kumar, Prof. für Anatomie, Tufts University School of Veterinary Medicine: “Verwendung toter Tiere aus ethisch akzeptablen Quellen”

* Elena Maroueva, Tierärztin und InterNICHE Länderkontakt für Russland: „Änderungen in der naturwissenschaftlichen Ausbildung Russlands“

* Siri Martinsen, Tierärztin und InterNICHE Länderkontakt für Norwegen: “Grundsätze zum Tierverbrauch und tierverbrauchsfreien Lehrmethoden in der Ausbildung“

* Makiko Nakano, Tierärztin und InterNICHE Länderkontakt für Japan: “Aufklärung von Studierenden über tierverbrauchsfreie Lehrmethoden in der Veterinärmedizinausbildung Japans“

* Marketa Peckova, InterNICHE Länderkontakt für Tschechien: “Untersuchung des Tierverbrauchs und des Einsatzes von Alternativen in Tschechien“

* Monika Percic, InterNICHE Alternatives Loan System Koordinator: “Nutzen von Ausleihsystemen zur Durchsetzung von tierverbrauchsfreien Lehrmethoden“

* Tom Regan, emeritierter Prof. für Philosophie, North Carolina State University: “Akademische Freiheit und Ethik“

* Adolfo Sansolini, Geschäftsführer des BUAV und Vize-Präsident der LAV:

“Gesetzgebung zur Verweigerung aus Gewissensgründen und Alternativen zu Tierversuchen“

* Garry Scroop, Prof. für Physiologie, University of Adelaide: “Wichtige Denkwerkzeuge und studentische Selbstversuche”

* Sepehr Shafiezadeh, Pharmaziestudent und InterNICHE Länderkontakt für Iran: “Ersatz von Tierversuchen im Iran”

* Dan Smeak, Prof. für Chirurgie, Ohio State University College of Veterinary Medicine: “Effektives Chirurgie-Training und der Einsatz von Modellen und Simulatoren“

* Adrian Smith, Mitgründer von NORINA und Prof. für Veterinärmedizin, Norwegian School of Veterinary Science: “Datenbanken und Durchsetzung tierverbauchsfreier Methoden“

* Barbara Smuts, Prof. für Biopsychologie und Anthropologie, University of Michigan: „Nicht-invasive zoologische Feldstudien“

* Thales Trez, Biologe und InterNICHE Länderkontakt für Brasilien: „Vernetzung und tierverbauchsfreie Lehrmethoden in Lateinamerika“

* Norwegische und schwedische Virtual Reality (VR)-Simulationen für medizinisches Chirurgietraining

Workshops:

* Verwendung toter Tiere aus ethisch akzeptablen Quellen
* Anleitung für Lehrende zur Einfügung tierverbrauchsfreier Lehrmethoden in den Unterricht
* Kulturelle Hindernisse und Möglichkeiten zur Einfügung tierverbrauchsfreier Lehrmethoden in den Unterricht
* Tierrechtsphilosophie
* Verweigerung von Tierversuchen aus Gewissensgründen
* Tipps und Tricks für Tierrechtsaktivisten
* Erfahrungsaustausch über die Beziehung zu Tieren
* Die Rolle von Emotionen in der naturwissenschaftlichen Auseinandersetzung

Konferenzgebühren:

bei Anmeldung vor dem 30.3.05:                 120 €, ermäßigt 60 €

bei Anmeldung nach dem 30.3.05:             200 €, ermäßigt 100 €

Die Konferenzgebühren beinhalten den Zugang zu allen Vorträgen, den Multimediaraum, den Workshops sowie Mittagsbüfett und Erfrischungen.