Kritik am Tierverbrauch

Warum ist Tierverbrauch im Studium kritikwürdig?

Die Kritik am Tierverbrauch im Studium kann auf verschiedenen Ebenen geübt werden. Sie umfasst rechtliche Vorgaben, ein bestimmtes ethisches Grundverständnis, wissenschafts-kritische Überlegungen sowie pädagogisch-didaktische Aspekte.

Argumente PRO TIERVERBRAUCH:

In Diskussionen mit Dozenten werden häufig folgende Ansichten geäußert:

“Jeder Student der Biologie, Human- und Veterinärmedizin muss im Studium Tiere sezieren, um neben theoretischen Grundkenntnissen auch präparativ anatomische Fertigkeiten zu erwerben.”

“Durch Tierexperimente sollen die Studierenden lernen, praktisch wissenschaftlich zu arbeiten.“

“Studierende müssen die Methode des Tierversuchs für ihre spätere Tätigkeit erlernen; es gehört zum Berufsbild von Biologen, Human- und Tiermedizinern, Tierversuche durchführen zu können.“

Wissen soll auf anschauliche Weise vermittelt werden. Zum direkten Studium am Objekt gibt es deshalb keine Alternativen. Filme und Modelle liefern ein zu vereinfachtes Bild, Computersimulationen basieren sowieso nur auf schon existierenden Ergebnissen, und natürlich gestorbene Tiere scheiden aus seuchenrechtlichen Gründen aus. Somit bleibt nur der Tierversuch, bzw. eine andere tierverbrauchende Übung.“

In der SATIS-Studie bewertete die Mehrheit der DozentInnen folgende Lernziele als „wichtig“ oder „sehr wichtig“: Morphologie der Tiere, manuelle Geschicklichkeit, Präparationstechniken, Umgang mit tierischem Material, wissenschaftlich-experimentelles Arbeiten und Tierversuch als Methode.

Argumente CONTRA TIERVERBRAUCH:

Rechtliche Betrachtung

Die Tierversuchsrichtlinie der EU (2010/63/EU, Erwägungsgrund Nr. 12) gibt vor:
„…Der Einsatz von Tieren zu wissenschaftlichen Zwecken oder zu Bildungszwecken sollte
deshalb nur dann erwogen werden, wenn es keine tierversuchsfreie Alternative gibt…„

Das deutsche Tierschutzgesetz (BGBl. I S. 3154) sagt: „… Bei der Entscheidung, ob als Lehrmethode Eingriffe und Behandlungen an Tieren geeignet sind, sollen auch die Vorkenntnisse der Teilnehmer des Lehrprogramms und das Lehrziel berücksichtigt werden…“

Weiterhin gibt das Tierschutzgesetz (§ 7a) vor, dass Tierversuche, nur durchgeführt werden dürfen, soweit sie für bestimmte Zwecke, darunter Aus-, Fort- oder Weiterbildung, unerlässlich sind. Bei der Entscheidung, ob ein Tierversuch unerlässlich ist, ist der jeweilige Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse zugrunde zu legen und zu prüfen, ob der verfolgte Zweck nicht durch andere Methoden oder Verfahren erreicht werden kann.

Somit bedeuten Tierversuche in der Lehre bei vorhandenen tierleidfreien Verfahren ein Verstoß gegen das Tierschutzgesetz. Die gesetzlichen Vorgaben werden jedoch unzureichend umgesetzt, da die meisten Tierversuche für die Hochschulausbildung genehmigt und nicht ausreichend auf vorhandene gleichwertige Alternativen geprüft werden.

Ein aktuelles Urteil des Verwaltungsgerichts Köln hat immerhin ein Verbot von Tierversuchen in einem Mediziner-Praktikum der Uni Bonn bestätigt. Das Gericht hat sich gegen Standard-Tierversuche an Mäusen zu Ausbildungszwecken ausgesprochen. So müssen Methoden angewendet werden, auch wenn diese „schlechter“ bewertet werden als die Tiermethode. In der Rechtsprechung ist dieses Urteil das derzeitige Maximum für das Ziel, einer tierleidfreien Lehre. Es ist zu hoffen, dass das Urteil wegweisend sein wird für Genehmigungsbehörden und andere Gerichte.

Weitere kleine Schritte: Fünf Bundesländer, Bremen, Hessen, NRW, Saarland und Thüringen, haben den Passus des ethischen Verweigerungsrechts (siehe Leitfaden für Studierende unter Befreiungsantrag) in das Hochschulgesetz aufgenommen und den Hochschulen aufgetragen, tierfreie Verfahren zu nutzen.

Ethische Betrachtung

Der Grundsatz des Tierschutzgesetzes (§ 1) besagt: „Zweck dieses Gesetzes ist es, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.“

Der Mensch hat aus unserer Sicht kein Recht, das Tier zum bloßen Anschauungs- und Demonstrationsobjekt zu degradieren. Seine vermeintliche oder tatsächliche Höherentwicklung unterscheidet ihn zwar in mancherlei Hinsicht von (anderen) Tieren, gibt ihm aber nicht mehr Rechte. Gerade aufgrund seines Verstandes und seines Bewusstseins sollte sich der Mensch für seine Mitgeschöpfe verantwortlich zeigen. Und angehenden Lehrern und zukünftigen Dozenten sollten diese Werte gegenüber den ihnen anvertrauten Lernenden bewusst werden.

Nicht vergessen werden darf bei der ethischen Betrachtung auch die Haltung vieler Dozenten den Studierenden gegenüber, die die Teilnahme am Tierverbrauch aus ethischen Gründen verweigern. Um ihr Studium erfolgreich beenden zu können, sind die Studierenden meist gezwungen, gegen ihr Gewissen am Tierverbrauch teilzunehmen. Dies ist eine ethisch nicht zu vertretende Haltung und stellt eine fundamentale Verletzung der Menschenwürde sowie des Grundrechts der Gewissenfreiheit (Art. 4 Grundgesetz) dar.

Ethik-Seminare im Hinblick auf die Verantwortung für unsere Mitgeschöpfe als Forscher oder Mediziner sind dagegen immer noch rar in der Ausbildung von Biologen, Veterinär- und Humanmedizinern.

Wissenschaftskritische Aspekte

‚Spätere Berufspraxis’
Lediglich ein Bruchteil der Studierenden ergreift nach der Ausbildung eine Tätigkeit, die sich auf Tierexperimente stützt. Deren ordnungsgemäße Durchführung kann nicht in den Studienveranstaltungen erlernt werden, sondern wird oft unmittelbar vor der Tätigkeit durch entsprechende zertifizierte Pflichtkurse (FELASA) vermittelt. Somit qualifiziert der Tierverbrauch im Studium nicht auf die spätere Berufspraxis und kann für diesen Zweck nicht gerechtfertigt werden.

‚Tierversuch als Methode’
Einige tierverbrauchende Lehrmethoden fördern besonders in den medizinischen Fächern eine lineare Denkweise, die ein komplexes Verständnis der Vorgänge im Organismus nicht zulässt. Ein isoliertes Organ beispielsweise, wie das Froschherz, reagiert stereotyp, mechanistisch und ist deshalb nur ein sehr unvollständiger Vergleich zum Herzen im Gesamtzusammenhang des Körpers.

Tierversuche werden in verschiedenen Forschungsgebieten kritisiert, nicht nur im Rahmen von Tierschutzanforderungen (3R), sondern auch etwa aufgrund der Nichtübertragbarkeit der Ergebnisse zwischen verschiedenen Spezies. So fallen statistisch mehr als neun von 10 Wirkstoffen, die in Tierversuchen identifiziert wurden, in klinischen Studien am Menschen durch. Dementsprechend sind Entwicklungen von Alternativmethoden gesetzlich erwünscht und sollten auch in die Ausbildung verstärkt Einzug finden.

Der Grund für den Tierverbrauch liegt demnach mehr in der Tradition als in der Wissenschaft selbst.

Pädagogisch-didaktische Kritik

“Wie viel wird dadurch gefrevelt, dass Tiere Qualen unterworfen werden, nur um Studenten allgemein bekannte Phänomene zu demonstrieren”. Mit diesem Zitat Albert Schweitzers soll nicht noch einmal auf ethische Aspekte hingewiesen werden, sondern es soll zeigen, wie alt die eigentliche Diskussion ist.

‚Heterogene Lehrinhalte’
Tierverbrauchende Übungen zählen an den meisten Hochschulen zum Pflichtbestandteil des Studiums, an einigen anderen Hochschulen ist es hingegen möglich, das Ausbildungsziel auch ohne die Teilnahme am Tierverbrauch zu erreichen. Betrachtet man die an den Hochschulen durchzuführenden Übungen im Einzelnen, kommt man zu dem Ergebnis, dass es keinen einzigen Versuch gibt, der innerhalb eines Studienganges an allen Universitäten verlangt wird. Offensichtlich ist die Heterogenität erheblich, insbesondere im Hinblick auf die europaweit erzielten einheitlichen Abschlüsse. Was an einigen Universitäten als unverzichtbar gilt, scheint an anderen unnötig zu sein. Da aber an allen Fachbereichen der jeweils gleiche Abschluss, also der jeweils gleiche Qualifikationsnachweis vergeben wird, kann von der Notwendigkeit der einzelnen Übungen keine Rede sein. In den Niederlanden und in Schweden besteht für alle Studierenden die Möglichkeit, jeglichen „Tierverbrauch“ aus Gewissensgründen zu verweigern. In Italien ist dieses Recht auf Verwirklichung der persönlichen Gewissensfreiheit sogar gesetzlich geregelt: „Die Bürger […] können die eigene Teilnahme an jeglicher Handlung in Zusammenhang mit Tierversuchen aus Gewissensgründen verweigern“ (Gesetzblatt der italienischen Republik Gesetz Nr. 413 Art. 1).

‚Berufsbild Biologe’
Die Bedeutung der tierverbrauchenden Übungen für das weitere Studium oder den Beruf ist nicht nachvollziehbar. Viele Studierende haben in ihrem weiteren Studium nur noch wahlweise etwas mit dieser Thematik und Praxis zu tun, etwa bei Spezialisierung auf Botanik, Mikrobiologie, Ethologie, Genetik, Pflanzenphysiologie, Ökologie etc. Die Aussage, tierverbrauchende Übungen seien unverzichtbar, da die hier zu erlernenden präparativ-anatomischen Fertigkeiten zum Berufsbild gehörten und mit dem Studienabschluss bescheinigt würden, entbehrt jeder Grundlage: Ein Grundkurs kann nicht als Basis herangezogen werden, um Biologen wissenschaftliche Fertigkeiten zuzusprechen. Außerdem lassen weder Studienordnungen noch Tierschutzgesetz einen solchen Rückschluss zu.

‚Realität der Kurse’
Ein weiterer Kritikpunkt ist der Ablauf der einzelnen Kurstage: Die Präparationen gelingen aus Zeitmangel, schlechter Vorbereitung und zu wenigen Vorkenntnissen sowie der bisweilen schlechten Betreuung oft nur unzureichend. Die meisten Zeichnungen entstehen aus den Skripten oder Büchern, weil viele Studierende mit den Präparaten überfordert sind. Zudem präparieren viele Studierende nicht selbst, sondern arbeiten in Gruppen. Eine Aneignung der gewünschten präparativ-anatomischen Fertigkeiten steht somit sehr in Frage. Eine erfolgreiche Ausbildung ist nicht vom Tierverbrauch abhängig.

Interaktive Computerprogramme, 3D-Visualisierungen, Videos und künstliche Modelle (siehe Ausgewählte Innovationen unter Anatomie) bieten detailliertere und vielschichtige Lernerfahrungen mit unbegrenzter Wiederholbarkeit. Hier soll auch noch einmal betont werden, dass die Verwendung von Spendertieren, die aus natürlichen Gründen gestorben sind, zu den von uns befürworteten Lehrmethoden zählt.

‚Computerspiele’
Simulationen realer Laborumgebungen durch Computersoftware werden zuweilen mit PC-Spielen verglichen, mit denen Studierende schon ihre Freizeit verbringen. Auf die Lehre spezialisierte Software bietet gegenüber früheren Versionen von Lehr-Programmen innovative und realistische Experimente, die unter anderem verschiedene Versuchseinstellungen zur Hypothesentestung und Abfrage-Tools anbieten. Sie ermöglichen vielfältige und pädagogisch wertvolle Kursinhalte.

‚Praxis statt trockene Theorie’
Einige Studenten evaluieren Praktika, die nur noch aus Computersimulationen bestehen zurecht als zu theoretisch und verlangen aus Unkenntnis nach konservativen Kursinhalten. Hier sind Dozenten und Kursverantwortliche gefragt, die große Bandbreite humaner Lehrmaterialien voll auszuschöpfen. In der Physiologie können Computersimulationen mit Probandenversuchen kombiniert werden. In der Morphologie ist neben Videos und virtuellen Sezierungen die Präparation an künstlichen Modellen sowie an verschiedenen Arten von Fund- und Spendertieren, die aus natürlichen Gründen gestorben sind, möglich.